• Das öffentliche Beschaffungswesen sorgte in der Vergangenheit für hitzige Diskussionen. Geht die anstehende Revision in eine befriedigende Richtung?

Der Schweizerische Baumeisterverband begrüsst die vom Nationalrat beschlossene Revision des öffentlichen Beschaffungswesens. Neu findet neben dem Preis endlich auch dessen Verlässlichkeit Eingang in das öffentliche Beschaffungswesen. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier teilen damit die Einsicht, dass das billigste oftmals nicht das beste Angebot darstellt. Die negative Spirale von einzig preisorientierten, aber häufig ungenügenden Dumpingangeboten wird so durchbrochen.

  • Neuerdings sollen Aufträge an das „vorteilhafteste“ Angebot vergeben werden und nicht mehr an das „günstigste“. Ist diese Formulierung nicht wieder zu schwammig?

Im Gegenteil. Dadurch haben innovative Angebote wieder gute Chancen auf den Zuschlag. Es entsteht ein echter Wettbewerb um die wirtschaftlichste Lösung. Natürlich wird der Bauherr einwenden, dass er so unter Umständen eine teurere Lösung einkauft. Im Unterschied zum Supermarkt wird aber bei einem Bauprojekt nicht bei Vertragsunterzeichnung, sondern bei der Bauübergabe abgerechnet. Planungs- und Bauleistungen sind nicht mit standardisierten Massenprodukten vergleichbar, sondern sind meist Prototypen. Ich bin überzeugt, dass die hypothetischen Mehrkosten eines «vorteilhaftesten Angebots» zum Vergabezeitpunkt für den Bauherrn bis zur Schlussabrechnung einen Mehrwert schaffen, der wesentlich grösser ist als der anfängliche Preisunterschied.

  • Wie viel Einfluss hatte der Baumeister Verband bei der Revision?

Wir haben uns engagiert, in dem wir im Vorfeld im Verbund mit anderen betroffenen Verbänden gemeinsam unsere Standpunkte zur Revision klar definiert und kommuniziert haben. Daneben haben wir als Schweizerischer Baumeisterverband immer wieder das direkte Gespräch mit der Verwaltung und politischen Meinungsmachern gesucht, um unsere Ansichten zu diesem für die Bauwirtschaft sehr wichtigen Geschäft zu verbreiten und zu untermauern. Gemeinsam mit der KBOB, der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren, haben wir zum Beispiel unabhängig von der Gesetzesrevision neue Modelle entwickelt, welche die heutige Vergabepraxis verbessern.

  • Wir wissen von einem konkreten Fall, bei dem sich Konkurrenten im Tiefbaubereich um bis zu 60% (CHF 1’000’000.- versus CHF 400’000.-) unterboten um eine öffentliche Ausschreibung zu gewinnen, nur um später mit zusätzlichen Kosten den Preis wieder anzuheben. Ist dies ein allgemeines Problem des Beschaffungswesens, dass solche Schummeleien überhaupt stattfinden können?

Zu diesem Einzelfall kann ich mich nicht äussern, aber er ist einer unter vielen. Wenn man Angebotseröffnungen von Bauprojekten anschaut, so ist oft eine Preisdifferenz zwischen dem billigsten und dem teuersten Anbieter in der Grössenordnung von 20 bis 30 Prozent gegeben. Das ist mehr als das Zehnfache unserer durchschnittlichen Marktmarge! Natürlich können Unternehmervarianten zu optimierten Lösungen führen, aber die Erfahrung zeigt, dass der Unterschied zwischen einer Amtslösung und einer Unternehmervariante meist weniger als fünf Prozent der Gesamtkosten ausmacht. Mit anderen Worten: Die grossen Preisunterschiede in den Angebotseröffnungen lassen sich nur mit Spekulation und Rabattschlachten erklären.

  • Unrealistische Tiefpreise klingen zwar verlockend, machen aber viele ehrliche Unternehmen kaputt. Wie kann man gegen die schwarzen Schafe vorgehen, damit dies zukünftig nicht mehr vorkommt?

Das ist kein leichtes Unterfangen, denn der SBV setzt nicht auf Protektionismus, sondern auf den freien Wettbewerb als Grundbaustein unseres erfolgreichen Wirtschaftsstandortes Schweiz. Um unredlichen Anbietern ihr Handwerk zu erschweren, bauen wir vorerst auf drei Säulen: die erste Säule ist die Qualität unserer Arbeit, die zweite Säule ist die Sensibilisierung der Bauherren darauf, dass billig nicht automatisch wirtschaftlich ist. Die dritte Säule stellt, zumindest im Bereich der öffentlichen Bauherrschaft, nun hoffentlich eine geglückte Revision der öffentlichen Beschaffung dar. Wir erhoffen uns aufgrund dieser rechtlichen Basis gerade bei den öffentlichen Bauherren endlich das nötige Umdenken weg vom Billig-Fetisch hin zur richtigen Balance von Qualität und Innovation.   

  • Preisdumping macht laut Aussagen vieler Bauunternehmer der ganzen Branche zu schaffen. Sitzt die Bauwirtschaft hier auf einer tickenden Zeitbombe, welche viele Unternehmen in den Ruin treiben könnte?

Für das Preisdumping ist das geringe Qualitätsbewusstsein der Bauherren sicherlich ein Grund, aber nicht der einzige. Die Eintrittshürden in unserem Markt sind sehr tief: geht eine Unternehmung unter, entstehen daraus zwei neue. Es ist unbestritten, dass wir Überkapazitäten im Markt haben, aber diese abzubauen, ist in einem Umfeld, in dem die Bauvolumina seit vielen Jahren sehr hoch sind, alles andere als einfach. Diese Aufgabe müssen wir erledigen, das kann kein Dritter für uns tun.

  • Hat die Politik und die öffentliche Hand diesem Treiben zu lange zugeschaut? Schliesslich macht der Baumeisterverband schon seit Jahren auf die Problematik und die negativen Konsequenzen des öffentlichen Beschaffungswesens aufmerksam.

Die Marktbereinigung müssen wir als Branche vollziehen. Die Politik hält sich hier richtigerweise heraus, wir sind ja nicht in China! Aber als grösster Bauherr kann der Staat natürlich eine Vorbildrolle einnehmen und beispielhaft vorgehen. Ich denke hier an die Förderung von innovativen Bauprozessen und Projektmanagementmodellen. Diese Rolle haben die öffentlichen Bauherren in den letzten 20 Jahren meines Erachtens zu wenig wahrgenommen, viele haben sich ihre Aufgabe zu einfach gemacht.   

  • Im Unterengadin gab es bekanntlich den Baukartell-Skandal mit Preisabsprachen. Sehen Sie hier einen Zusammenhang zu den bisherigen Beschaffungsgesetzen?

Es gibt einen markwirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Beschaffungswesen und dem Wettbewerbsrecht, aber nichtsdestotrotz müssen diese zwei Aspekte unabhängig voneinander angegangen werden. Das heutige Wettbewerbsrecht verfehlt womöglich das ursprüngliche Ziel, aber dies rechtfertigt keine Gesetzesübertretung. Es ist Aufgabe der betroffenen Marktakteure, die Vergangenheit aufarbeiten. Wir als SBV und als Branche müssen nun die Zukunft gestalten und den im Wettbewerbsrecht notwendig gewordenen Kulturwandel abschliessen.

  • Kann das revidierte BöB illegale Preisabsprachen zukünftig verhindern da schlicht der Anreiz fehlt?

Eine Absprache ist nur dann möglich, wenn die Anbieter wissen, dass der Preis das einzige massgebende Vergabekriterium ist. Das revidierte BöB kann somit zu einer sehr wichtigen Waffe gegen Preisabsprachen werden, aber der eingeschlagene Weg muss nun konsequent weitergegangen werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Praxis viel stärker auf Verordnungsstufe als auf Gesetzesstufe festgelegt wird. Für einen wirklichen Kulturwandel im Beschaffungswesen muss demnach auch die Bundesverwaltung, welche jede Verordnung prägt, am gleichen Strick und in die gleiche Richtung ziehen. Das ist unseres Erachtens eine neue Baustelle mit ungewissem Ausgang.

  • Da nun das Problem des öffentlichen Beschaffungswesens gerade bearbeitet wird: Gibt es zukünftig noch weitere Herausforderungen, welche die Bauwirtschaft zu meistern hat?

Wir stehen auch in der Baubranche vor der Herausforderung der Digitalisierung. Was diese technischen Neuerungen alles für unsere Branche mit sich bringen werden, ist noch nicht absehbar. Wir verfolgen die Bedeutung dieser wichtigen, weltweiten Entwicklung, um für uns und für unsere Mitglieder die hoffentlich richtigen Schlüsse zu ziehen. Es bleibt auf jeden Fall spannend.

  • Was sind Ihre persönlichen Bau-Highlights des Jahres 2018?

Wir sind seit drei Jahren daran, ein neues Kontrollsystem der ganzen Baubranche aufzuziehen, das den Vollzug unterstützen und professionalisieren wird und bei dem jeder Arbeitnehmer einen Badge, eine sogenannte «Baucard» erhält, auf dem u.a. Name, Firma und Lohnklasse gespeichert sind. Die Arbeiten sind weit fortgeschritten und im Spätherbst dieses Jahres soll das Informationssystem Allianz Bau – kurz ISAB – eingeführt werden. ISAB erlaubt es, dass die Daten jedes einzelnen Mitarbeiters des Bauhauptgewerbes digital erfasst werden – und die Kontrolle viel effizienter von Statten gehen kann. Dadurch sollen bei der Auftragsvergabe korrekte Unternehmen berücksichtigt und somit ein fairer Wettbewerb ermöglicht werden. Für schwarze Schafe hingegen, welche die geltenden allgemeinverbindlichen GAV unterlaufen, wird es mit ISAB eng werden. 


 

 


 

ZUR PERSONLardi_Gian-Luca-offizielles-foto-bewilligt_1-ausschnitt
Gian-Luca Lardi, 1969 geboren im Bünder Puschlav, studierte Bauingenieurwesen an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH Zürich. Seit 2015 ist er Präsident des Schweizerischen Baumeisterverbands. Zudem ist er Vizepräsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Zehn Jahre lang, bis 2017, war er Geschäftsführer und CEO der CSC Bauunternehmung in Lugano.